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Montag, 10. April 2017

Das Licht in Santa Sabina

Die in Zedernholz geschnitzten Reliefs schildern biblische Szenen. Aus dem fünften Jahrhundert stammt das Portal. Santa Sabina wurde in jener Zeit über heidnischen Ruinen erbaut.

Die schweren Holztüren geben den Weg frei in eine lichtdurchflutete Halle.

Beim Bau dieser Kirche waren die Kenntnisse und Fertigkeiten der heidnischen Welt längst Vergangenheit. Prachtvolle korinthische Säulen drängen ins Auge, sie können nur in der Hochblüte der römischen Kaiserzeit entstanden sein. Undenkbar, dass im fünften Jahrhundert ein Steinmetz im Stande war, diese feinen Kapitelle zu formen.

 

Die für den christlichen Bau verwendeten Säulen sind aus einem nahegelegenen römischen Heiligtum hierher transportiert worden. Sie bestehen aus parischem Marmor, demselben Stein, aus dem zahlreiche Bauten der klassischen Antike, auch die Akropolis in Athen, errichtet wurden.

Die Dominikaner haben Santa Sabina mehrfach umgebaut. 1939 wurde der ursprüngliche Zustand der Kirche wieder hergestellt.

Das viele Licht, dass durch die großen Fenster ins Innere hereinströmt, war manch gestrengem Glaubenslehrer ein Dorn im Auge.
Dies sei ein »übertriebenes Zugeständnis an die fleischliche Wohllust«, »die Lichtflut würde die frommen Seelen von der Meditation ablenken«.

Die damals zugemauerten Fenster sind wieder offen.

Im Hauptschiff der frühmittelalterlichen Basilika werden Reliefs und Mosaike aus vergangenen Zeiten mit Licht überflutet. Antike Darstellungen von Sinnes- und Lebensfreude.
Der alte römische Naturalismus konnte vom Christentum nicht gänzlich verdrängt werden.

Schritt für Schritt erlebe ich diese spätantike Kirche mit ihrem harmonischen Innenraum, die in ihren Proportionen noch ganz dem Stilempfinden der römischen Kaiserzeit entspricht.

Auf einer roh gezimmerten Holzbank sitze ich direkt neben den gewaltigen Säulenarkaden. Viele Einzelheiten an den Wänden und an den Gesimsen stechen ins Auge. In Stein gehauene Pflanzenmotive verbinden sich mit geometrischen Formen; ein Kelch übervoll mit Weinreben umrankt von Blumen.

Vergeblich suche ich eine Menschengestalt im Büßergewand. Vergeblich suche ich ein ausgemergeltes Christusantlitz in Stein gehauen.
Die Symbolik der ausgehenden Antike hat solch eine Christusdarstellung nicht gekannt.

Ein Dominikanermönch kommt auf mich zu, er muss bemerkt haben, dass ich seit geraumer Zeit hier bin.

Mit einem fröhlichen »buon giorno Signore« setzt er sich neben mich. Gemeinsam wandert unser Blick entlang der Fresken, entlang der Säulenhalle hinauf in die lichtgefluteten Arkaden.

Ein ganzes Leben lang sei er hier in Santa Sabina. Zu oft würde er nicht beten, die Kirche sei Lobpreisung genug.

Ich habe bis jetzt kein Wort erwidert, statt dessen blicke ich mit ihm zusammen in das helle Licht des Kirchenschiffes.
Unsere Augen treffen sich, ich sehe in den Augen des Dominikaners eine heitere Zufriedenheit. Eine Weile halten wir unseren Blicken stand.

»Kommen Sie!«
Schließlich gehe ich mit ihm nach vorne vor den schlichten Altar, der über und über mit Blumen geschmückt ist.
Nach einem hastig geschlagenen Kreuz verlassen wir die Basilika über die linke Eingangspforte.

Er habe in meinen Augen gesehen, wie sehr ich Santa Sabina bewundere.
Er nimmt mich am Arm, führt mich über den kleinen Innenhof durch eine niedrige Pforte hinein in den seitlichen Kirchenanbau, vorbei an einer Pförtnerstube. Ein gebrechlicher Dominikaner winkt uns müde weiter. Bald finde ich mich in der vollkommenen Abgeschiedenheit einer prachtvollen Bibliothek.

Domenico zeigt mir die Schätze seiner Klosterbibliothek.

Stunde um Stunde sitzen wir zusammen an einem glattpolierten Lesetisch, vor uns prachtvolle Folianten, bei denen ich mich gar nicht traue, das schwere Pergament umzudrehen.

Domenico bemerkt meine ängstliche Zurückhaltung. Er findet, dass man schon Ehrfurcht vor solchen Büchern haben müsse, aber schließlich seien sie doch zum Lesen da und er würde sich immer freuen, wenn nicht nur er diese Bücher lesen würde.

Seine Besucher suche er sich schon aus, auch mich hätte er eine ganze Weile beobachtet und wäre zu der Überzeugung gekommen, dass er mir mit diesem Besuch in seiner Bibliothek eine Freude machen könne.

Diese Begegnung ist viele Jahre her. Mittlerweile ist Domenico zum Freund geworden. Kein Rombesuch, bei dem ich nicht bei ihm vorbeischaue.
Immer das gleiche Ritual. Wir treffen uns in dem prächtigen Hauptschiff von Santa Sabina. Fra Domenicos Augen funkeln voller Freude und ich selbst, ich muss es gestehen, bin jedes mal aufgeregt. Dieses Licht im Inneren des Kirchenraumes fasziniert.

Zusammen betrachten wir seine Kirche, verlassen Santa Sabina über den linken Seitenausgang, gehen über den kleinen Innenhof durch die niedrige Pforte hinein in seine Bibliothek.

Mittlerweile ist es Brauch geworden, dass wir uns nicht gleich mit alten Büchern beschäftigen, sondern erst einen Schluck Wein trinken und dazu ein paar Bissen Brot essen.

In dieser Zeit will er mit mir - »parlare tedesco«, - deutsch sprechen. Domenico meint, bei einem Schluck Wein und einem Bissen Brot könne man gut miteinander reden und anschließend getrost ein paar Stunden über all den Kostbarkeiten der Bibliothek sitzen.

Mittlerweile weiß ich, Domenico ist ein Bücherbesessener. Sein ganzes Leben hat er diesen Büchern gewidmet. Nicht nur, dass er viele dieser Kostbarkeiten restauriert, er übersetzt so manchen lateinischen Text ins Italienische und ins Deutsche.

Diesmal warte ich vergeblich neben den korinthischen Säulen.
Durch die seitliche Pforte sehe ich einen jungen Dominikanermönch, der zögerlich auf mich zukommt.
»Dottore Gunthero?«

Mir drückt es das Herz ab!

Nach einer kurzen Begrüßung gehen wir wortlos an der niedrigen Pforte des Seitengebäudes vorbei, verlassen den kleinen Innenhof in entgegengesetzter Richtung.
Eine nur angelehnte schmiedeeiserne Tür führt neben die Stützmauern von Santa Sabina auf einen kleinen Gottesacker. Wir murmeln ein kurzes Gebet an einem frischen Grab. Dann lässt mich der Dominikaner alleine, damit ich in Ruhe von meinem Freund Abschied nehmen kann.

»Auch wenn ich Dir meine kostbaren Bücher nicht mehr zeigen kann, Du wirst immer viel Freude haben, wenn Du das Licht in Santa Sabina erlebst!«, waren damals seine letzten Worte.

In der Bibliothek liegt sein »La Croce di Luce« neben Folianten in einem Kuvert auf einem der Lesetische.
In geschwungener Kalligraphie stand: »per Dottore Guenthero«.

Dieses Strahlen- oder Lichtkreuz trug Domenico sein ganzes Leben. Mit diesem Vermächtnis zeigte er mir, wie hoch er unsere Freundschaft einschätzte.

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