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Samstag, 14. Januar 2017

*** ausgeplaudert ***

Ein Satz für’s Leben

Das Physikum galt im Medizinstudium als schwerste Prüfung. Wer diese Hürde genommen hatte, durfte sich »cand. med.«, Kandidat der Medizin nennen. Vorher waren wir alle Studierende, also »stud. med«.

Nun war neben dem Studium die Famulatur angesagt, eine Art Praktikum für höhere Semester. Diese wurden in diversen Kliniken abgeleistet. Nun durfte ich mit den Ärzten mitlaufen und auch die eine oder andere ärztliche Tätigkeit unter Anleitung selbstständig durchführen.

Es war eine spannende Zeit. Hier lernte ich den Umgang mit Patienten, lernte diverse Untersuchungstechniken,  praktische Dinge halt, die später von grossem Nutzen waren.

Einen zweimonatigen Einsatz in der Kinderklinik ist mir besonders in Erinnerungen geblieben. Ich durfte in der Klinikambulanz mithelfen. Diverse Spezialsprechstunden wurden im wöchentlichen Rhythmus abgehalten. Die kleinen Patienten wuchsen mir alle ans Herz. Die onkologischen Sprechstunden waren für mich eine besondere Herausforderung.

Dort wurden viele Kinder mit Leukämie behandelt. Bei denen war zur Therapiekontrolle alle 3 Monate eine Liquorpunktion, ein Abzapfen von Rückenmarksflüssigkeit, notwendig. Das wurde ohne Narkose durchgeführt.

Die kleinen Patienten kamen in 4 wöchigem Turnus in die Spezialsprechstunde. Sobald sie ins Zimmer kamen, fragten sie, ob heute »Piks« gemacht würde. Wenn der Professor mit »nein« antwortete, ließen sie alle Untersuchungen über sich ergehen. Es wurde ja nicht Piks gemacht. Sagte er »Ja«, dann weinten sie oft still vor sich hin und fügten sich in ihr Schicksal.

Nach so einer Sprechstunde sagte mir der Kinderonkologe: »Belüge während Deiner Behandlung nie, absolut nie ein Kind. Belügst Du es ein einziges Mal, dann hat es alles Vertrauen zu Dir verloren!«

Diesen Satz nahm ich mir all die Jahre zu Herzen. Allzu schnell ist man geneigt, einem Kind mit einer barmherzigen Lüge helfen zu wollen. Es wird nie klappen. Ich belog während meiner ganzen ärztlichen Tätigkeit nie einen kleinen Patienten. Wenn es wehtat, dann sagte ich das, ohne irgendwas zu beschönigen.

Viele Jahre später kam ein 6 jähriger Knirps zusammen mit seiner Oma in meine chirurgische Sprechstunde. Er war mit der Hand in ein rotierendes Messer geraten. Viele Schnittwunden waren zu versorgen. Die Oma des Knaben war sehr aufgeregt. Sie lamentierte und bedauerte das Kind ununterbrochen. So kamen wir nicht weiter.

Kurz entschlossen nahm ich ihr den kleinen Prinzen weg, hieß sie im Wartezimmer Platz nehmen, und ging in einen der Ambulanzräume. Der Bub war erst mal überrascht, seine Oma war nicht mehr da und sonst war alles fremd um ihn herum. Er weinte, das tat halt weh!

Zusammen mit einer Schwester konnte ich den Knaben soweit beruhigen, dass ich die Lokalanästhesie legen konnte. Das würde jetzt ein paar mal Piks machen, aber es würde ja sowieso schon weh tun. Danach habe er keine Schmerzen mehr. Sehr tapfer legte er seine Hand auf das Versorgungstischen. Ich begann.

Ich fragte nach dem Kindergarten und bekam prompt von ihm zu hören, dass er heuer noch in die Schule käme. Ich fragte ihn, ob er denn gerne singen würde, und bekam ein Nicken. Mittlerweile wirkte die örtliche Betäubung. »Das tut jetzt nicht mehr weh!«, sagte er mir voller Stolz.

Ich begann die Schnittwunden zu säubern und zu nähen. Interessiert schaute er zu und wunderte sich über die gerundeten Nadeln. Dann sagte er mir, dass er mit seiner Mama immer das Lied »Ein Mops kam in die Küche« singen würde.
Daraufhin stimmten wir gemeinsam das Lied »Ein Mops kam in die Küche« an. Wir sangen es mehrmals rauf und runter und hatten viel Spaß dabei.

Nun kam die nächste heikle Szene. Ich wollte meinen kleinen Patienten für drei Tage unter stationärer Beobachtung haben, um rechtzeitig zu erkennen, ob sich die Wunden entzündeten. Eine Handinfektion kann sehr schlimme Folgen nach sich ziehen.
Das beredete ich mit ihm von Mann zu Mann. »Weißt Du, das haben wir jetzt so gut hingekriegt. Damit das gut heilen kann ist es am besten, Du bleibst drei Tage bei mir im Krankenhaus. Dann ist das soweit verheilt, dass nichts mehr passieren kann!«
Der Wonneproppen schluckte ein paar mal und gab sein OK.

Als ich die Oma in den Behandlungsraum rief, übernahm er selbst die Information.
»Ich muss jetzt hierbleiben. Du und Mama besucht mich jeden Tag und in drei Tagen bin ich wieder bei Euch!

Die Oma stand mit offenem Mund vor uns. Sie fand erst mal keine Worte, was für Großmütter eher selten ist.

Die Schwestern auf Station hatten viel Spaß mit dem aufgeweckten Kerlchen. Es heilte alles komplikationslos und das Entfernen der Wundfäden war ein Klacks!

Es war nichts anderes als grenzenloses Vertrauen.

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